Sonntag, 22. März 2020 –The Lockdown Diaries – Tag 7
Drahtesel
Schon eine Woche Lockdown. Das ging unheimlich schnell vorbei!
Nach sechs Jahren bin ich das erste Mal wieder Velo gefahren. Seitdem ich nach Zürich umgezogen bin, war ich praktisch in Tram und Bus zu Hause, der Netzpass muss sich ja schliesslich lohnen. Da hab ich das Velo fast komplett vergessen. Aufgrund der neuen Situation suche ich nun aber nach Alternativen zum ÖV. Das Erkunden des Arbeitswegs auf velofreundlichen Schleichwegen bietet sich an, wo ich doch so heroisch den Schlauch des Vorderrads geflickt habe. Ein neuer Schlauch war nämlich auf die Schnelle nicht zu bekommen. Schwamm drüber, Gummilösung und «Blätz» haben ja funktioniert. Begründung für den Trip: ich brauche etwas aus dem Büro. So.
Heute ist das reinste Kaiserwetter, ideal sich als Dragoner der Industrialisierung zu stilisieren. Von den letzten Ausläufern der Erkältung bin ich zwar noch etwas wacklig, schwinge mich aber trotzdem in den Sattel meines Drahtesels. Einfach ruhig angehen, auch wegen der zahlreichen Fussgänger an manchen Stellen, denen man zur Zeit sozial ausweichen muss (also den Fussgängern...) Manchmal bremsen mich auch kräftige Windböen aus, aber der Autoverkehr ist noch dünner als an früheren Sonntagen.
Dies erleichtert mir, ein paar Schleifen zu fahren, um die optimale Route zu ermitteln. Die Verkehrsführung für Velos scheint mir bisweilen etwas seltsam. Das Linksabbiegen am Ende der Gottlieb-Duttweiler-Brücke ist unklar und umständlich. Anscheinend wurden in den letzten sechs Jahren neue Verkehrsregeln erfunden. Dank dünnen Verkehrs kein wirkliches Problem.
Schliesslich erreiche ich das Büro, und bin im nu schon wieder draussen. Was ich brauche, ist in meiner Tasche verstaut.
Den Rückweg schaffe ich dann in 35 Minuten. Bin gespannt, wie schnell das geht, wenn ich wieder fit bin.
Bei ArtFilm kann man bis Ende April Schweizer Filme gratis streamen. Diesen Abend probiere ich das mal aus. Mit der App und AirPlay kann ich die Filme auf den grossen TV schauen. Das Login-Formular kann man getrost ignorieren.
Zum testen greife ich mir den ersten Film im Alphabet, der mir auffällt: «Absolut». Dieser Film entpuppt sich schnell zum spannenden Psycho-Thriller. ich bleibe dran. Der naturalistische, unprätentiöse Stil gefällt mir, den kenne ich von französischen Filmen. Langsam lasse ich mich in den Sog der verschiedenen Bewusstseinsebenen hineinziehen. Ist das ein Traum oder Wirklichkeit, was der junge Protagonist nach einer Kollision mit einem Auto durchlebt? Es bleibt spannend bis zum Schluss. Eindeutig kein Hollywood, prima!
Mir scheint, dass wir in der Deutschschweiz so ziemlich im eigenen Saft schmoren. Weder nehmen wir die bunte Bieler Musikszene wahr, noch die Produktionen unserer Westschweizer compatriotes. Herrscht in den meisten bekannten Produktionen die Heidischweiz vor, weil es dann mehr Fördergelder gibt? Zum Glück erfreuen uns ab und zu Ausnahmen wie «Sennentuntschi» von Michael Steiner aus dem Jahr 2010.
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